4. Kapitel: Der Freie Wille
Bei jedem erwachsenen Menschen beginnt sich ein weiteres der „ewigen Gesetze“ bemerkbar zu machen, nämlich der freie Wille des Menschen. Er führt dazu, dass der Mensch seinen eigenen Entwicklungsweg geht, der oft anders ist, als es seine Umgebung von ihm verlangt. Ein jeder spürt in seinem Inneren, wie er durch das Leben gehen soll, weil ihn dazu unbewusst seine eigenen Vorhaben und Aufgaben führen, die ihm vorgeburtlich zugeteilt wurden. Wird ein junger Mensch aber zu früh von Verdorbenheit beherrscht, so wird dieser zum Ziel führende Weg zu einem Irrweg.
Die Eltern sollten niemals ihr „erwachsenes Kind“ zu etwas zwingen, was es aus innerem Antrieb heraus nicht möchte. Auch in der Kindheit und den Jugendjahren ist es Pflicht der Eltern, auf die Persönlichkeit ihres Kindes einzugehen, und bei Schul- oder Berufsfragen nur helfend und unterstützend, niemals aber zwingend, einzuwirken. Bis zu seiner Reife handelt jedes Kind so, dass es deren Eltern im Verhalten nachahmt. Dieses Verhalten ist auch in der Tierwelt zu beobachten, wobei ein Mensch bewusst handelt, und ein Tier unbewusst handelnd darin verbleibt.
In früheren Entwicklungsphasen, in denen es Sklaven und Leibeigene gab, war es dem Einzelmenschen oft nicht möglich, wirklich frei entscheiden zu können. Wollte er sich für einen Beruf oder Ehepartner entscheiden, so waren diese Lebensschritte oft von der Zustimmung seines Herrschers oder eines Familienmitgliedes abhängig. Mit dem Heranreifen der Menschheit wächst auch die Freiheit des einzelnen, den eigenen, freien Willen umsetzen zu können.
Trotz dieser positiven Entwicklung liegt vielen Menschen aber heute nicht viel daran, Ihre Freiheit zum Entschluss wirklich auszuüben. Ihre innere Bequemlichkeit äußert sich so, dass sie viel lieber andere Menschen für sich denken und entscheiden lassen. Denn mit der selbständigen Willensausübung ist ja auch die Verantwortung für die eigenen Entschlüsse verbunden. Gerade aus diesem Grunde vernachlässigen viele Menschen heute, bewusst oder unbewusst, den freien Willen zum Entschluss.
Andere handeln genau gegenteilig, indem sie jeden Rat ablehnen und bedenkenlos immer nur alleine, oft impulsiv und unüberlegt Entscheidungen treffen. Sie erkennen dabei nicht, dass Ihre Entscheidungen zu umfassenderen Folgen führen, die sie noch weit mehr belasten können. Aus diesem Grunde sollte der Mensch so weit kommen, dass er die Ratschläge, Hinweise und Erfahrungen seiner Nebenmenschen grundsätzlich nicht meidet, sondern sie in seine Überlegungen einfließen lässt und nach Abwägung aller Informationen ruhig entscheidet.
Wieder andere Menschen sind davon überzeugt, überhaupt keinen freien Willen zum Entschluss zu haben. Sie haben sich in einem solchen Grade in ihren negativen Eigenschaften und Hängen verstrickt, dass es ihnen ohne starke, innere Änderung gar nicht mehr möglich wird, sich von allem befreien zu können. Nur der starke, innere Drang nach Veränderung, verbunden mit der aufrichtigen Erkenntnis eigener Schwächen, kann helfen, diese zu überwinden und alle dazu notwendigen Reserven zu mobilisieren.
Ist es einem Menschen zum Beispiel in seiner Arbeit nicht möglich, freie Entscheidungen selbstverantwortlich treffen zu können, und stört ihn dies, so sollte er zuerst danach suchen, wer oder was ihn hierbei einschränkt. Vielleicht liegt es ja an ihm selbst, da er in seiner Arbeit nicht wirklich „aufgeht“, oder er mit den vorgegebenen Arbeitsplatzbedingungen nicht zurechtkommt. Das alles sollte er überdenken und danach selbst entscheiden, ob er vielleicht nur den Arbeitsplatz wechseln oder gänzlich eine andere Beschäftigung suchen sollte.
Ein Mensch, der von anderen wegen seiner Güte, Geschicklichkeit und Hilfsbereitschaft ausgenützt wird, und dem die Einseitigkeit hierbei bewusst wird, kann auch zu dem Schluss kommen, dass er keinen freien darin Willen hat, denn seiner Auffassung nach, muss er in diesem Masse immerzu gütig oder hilfsbereit sein. Er kann dies jedoch nur lösen, wenn er sich innerlich ändert, da er diese Enttäuschung sonst an jedem weiteren Arbeitsplatz wiederum erfährt.
Ist in einer Beziehung ein Mangel an Freiheit festzustellen, so sollte dies gründlich geprüft und nach den verborgenen Ursachen gesucht werden. Vielleicht stellt einer der Partner mit der Zeit fest, dass ihn mit dem anderen nichts verbindet, was ihn wirklich erfüllt. Vielleicht sogar, dass ihn der andere Partner direkt in seiner freien Willensausübung einschränkt. Trotz dieser widrigen Umstände halten viele Menschen oft an Partnerschaften fest, nur weil sie den Mut zu einer Trennung nicht aufbringen können oder weil sie ein selbstverantwortliches Leben scheuen. Der Mensch will oft nicht erkennen, dass ihn gerade diese widrigen Umstände dazu drängen, sich mit sich selbst zu beschäftigen und sein Leben neu zu bewerten. Die Lösung dieses empfundenen Druckes muss nicht immer in einer Trennung gesucht werden. Oft ist es schon ausreichend, die Situation und den Partner verstehen zu lernen.
Die Menschen gehen diesen Herausforderungen oft aus dem Weg, indem sie anderen die Schuld für eigenes Handeln geben oder die Lösung im Alkoholkonsum zu finden glauben. Andere stürzen sich in ihre Arbeit oder haben nur noch ihre Hobbys im Sinn, nur um mit diesen Ablenkungen einer Selbstprüfung auszuweichen.
Wenn dem Menschen bewusst wurde, dass er seinen freien Willen nicht frei ausüben darf, ist dies schon schwer. Noch schwerer wird es für den Menschen jedoch, wenn er dabei erkennen soll, dass ihn dieser Umstand als Rückwirkung seines bisherigen Fehlverhaltens trifft.
Zeigen wir es an einem Beispiel:
Ein erwachsener Sohn leidet unter der Herrschsucht seines Vaters, da dieser ihm alle Entscheidungen abnimmt und diese teilweise auch mit Gewalt durchsetzt. Dieser Zustand beengt den Sohn, so dass Missverständnisse und Streitigkeiten an der Tagesordnung sind. Da der Sohn jünger und somit innerlich beweglicher als sein Vater ist, sollte er zuerst versuchen, die Ursache dieses Verhaltens zu begreifen. Er sollte sich selbst die Mühe geben, den Vater in seinem Drängen verstehen zu können und nicht ständig vom Vater verlangen, dass er sein Verhalten ändert.
In erster Linie sollte sich der Sohn bewusst werden, dass ihn das Gesetz der Wechselwirkung an seinen irdischen Vater band. Dies erklärt ihm, dass er sich in vorigen Leben seinem Vater gegenüber ähnlich herrschsüchtig verhielt. Er kann erkennen, dass er innerlich genauso ist wie sein Vater, weil ihn das Verhalten seines Vaters stört. Gleiche negative Eigenschaften stoßen sich nämlich ab. Kommt es zu einem wahren Erkennen der Ursache, so wird sich seine Einstellung gegenüber dem Vater sofort ändern und das karmische Hindernis beseitigen. Im Sohn erwacht der bisher unterdrückte, freie Wille, den der Vater plötzlich respektieren wird.
Wird die Ursache des Problems zuerst vom Vater erkannt und ändert er sich, verändert sich mit ihm der Sohn. Beide sind ja karmisch miteinander verbunden, so dass sie sich in ihrer Entwicklung entweder gegenseitig unterstützen oder behindern.
Sollte sich der Sohn jedoch nicht ändern wollen und nur vom Vater verlangen, dass dieser sich zu ändern habe, dann werden seine üblen, herrschsüchtigen Eigenschaften so stark magnetisch wirken, dass seine Kinder ebenso herrschsüchtig sein werden, wie er selbst es ist. Einige unter ihnen, oder auch alle, werden sich ebenso gegen seine gewaltsame Natur stellen und ihm Widerstand leisten. Damit bekommt er eine weitere Möglichkeit, sich seiner Herrschsucht bewusst werden zu können. Ebenso wird es im nochmals ermöglicht, seine Gleichart zu seinem Vater erkennen zu können und dass jegliche Lösung nur in seinem geänderten Verhalten zu suchen ist.
Die Herrschsucht des Vaters kann aber auch die gegenteilige Ursache haben. Sollte der Sohn nämlich zu schwach sein, und sein eigenes Wollen niemals offen zeigen, so bestärkt er die Willenskraft des Vaters, vervielfacht sie. Zeigt der Sohn jedoch im richtigen Augenblick, dass er einen eigenen Willen hat, indem er diesen umsetzt, so kommt es zum gegenseitigen Ausgleich in Harmonie.
Jeder Mensch hat einen Helfer, den viele als „Schutzengel“ bezeichnen. Dieser hilft seinem Schützling bei Entscheidungen und somit bei der Entwicklung der eigenen Willensstärke. Dieser Helfer ist kein „Engel“, sondern ebenso ein Menschengeist, der zwar keinen grobstofflichen Körper mehr besitzt, jedoch vor Kurzem noch auf Erden lebte und somit nicht nur die Verhältnisse auf Erden gut einschätzen kann, sondern vor allem die Schwächen seines Schützlings gut kennt. Er hat oder hatte unter den gleichen Schwächen zu leiden, so dass er nach dem Gesetz der Anziehung der Gleichart zu seinem Schützling fand und er ihn auch aus diesem Grunde gut verstehen kann. Seine Aufgabe besteht einerseits darin, seinen Schützling zu führen, so dass er ihm bei wichtiger Entscheidung rät, etwas zu tun oder zu unterlassen. Andererseits warnt er ihn vor einer Gefahr oder vor einem gänzlichen Sturz. Durch diese Hilfstätigkeit reift auch der Helfer selbst in der Feinstofflichkeit, löst unter Umständen durch sein Wirken, das sich ja auf Erden zeigt, eigene grobstoffliche Rückwirkungen und muss daher auf Erden nicht mehr inkarnieren. Es sei denn, dass er durch das Gesetz der Wechselwirkung dazu nochmals gezwungen würde. Seine Hilfe ist Teil der „inneren Stimme“ oder des Gewissens, die in einem Rat besteht, um bei dem Schützling die eigene Entschlussfähigkeit und somit den eigenen „freien Willen“ zur Entfaltung zu bringen.
Jeder Helfer ist also ein „Schutzgeist“, der etwas reifer und umsichtiger als sein Schützling ist. Er ist kein Engel, obwohl sich diese Bezeichnung eingebürgert hat. Der Helfer und sein Schützling fanden durch das Gesetz der Anziehung der Gleichart zusammen, wobei sie sich nur geringfügig unterscheiden. Ein höherer Geist oder ein Engel könnte den Erdenmenschen mit seinen irdischen Wünschen und Fehlern nicht mehr gänzlich verstehen. Da der Helfer den Menschen in seiner Reife nur etwas überragt, beschleunigt er durch seinen Einfluss die Entwicklung des Schützlings. Wenn der Schützling seine Ratschläge befolgt, freut sich der „Schutzgeist“, richtet er sich aber nicht nach der Stimme seines Gewissens, so leidet der „Schutzgeist“ darunter. Nach dem Gesetz des freien Willens kann der Helfer den Schützling nicht zu etwas zwingen oder ihn mit Gewalt von etwas abhalten, selbst wenn ihm ein Sturz oder sogar der Erdentod droht.
Jeder Erdenmensch hat unabhängig von seiner Einstellung und seinem Lebenswandel mindestens einen Helfer, denn dies ist Gesetz. Niemand bleibt ohne Hilfe. Jeder Helfer hat nun auch wieder einen Helfer und so ergibt sich eine Kette nach oben, die man als „geistige Führung“ bezeichnet. Je entwickelter ein Menschengeist ist, desto höheren Ursprungs sind demnach auch seine Helfer.